Gehört Parkour zum Turnsport - ja oder nein?
Um einer befürchteten „feindlichen Übernahme“ nicht hilflos gegenüber zu stehen, wurde zu Jahresbeginn 2018 der Österreichische Parkour- und Freerunning-Verband ÖPFV gegründet. Der Turnsport Austria ist allerdings am „Kapern“ eines Sports gegen den Willen und gegen den Widerstand der betroffenen Sportler/innen völlig uninteressiert.
Daher lud der Turnsport Austria die ÖPFV-Vertreter zu einem Arbeitsgespräch ein, an dem dankenswerter Weise auch der stv. Geschäftsführer der Bundes-Sportorganisation, Christian Gormasz, teilnahm, um die übergeordnete Sichtweise des österreichischen Sports einzubringen.
Ist Parkour jetzt grundsätzlich ein Teil des Turnsports oder ist es das nicht?
Auf diese Frage gab es beim Gespräch keine gemeinsame Antwort. Seitens des Turnsport Austria eindeutig ja, weil da es dabei nicht um die Motivation und Philosophie geht, sondern ausschließlich um die sportlichen bzw. bewegungsbezogenen Inhalte. In der Sichtweise des ÖPFV-Vorstands überwiegt dennoch das Trennende gegenüber dem Gemeinsamen.
Infolge wurde – in konstruktiv freundschaftlicher Gesprächsatmosphäre – vereinbart, dass der Turnsport Austria in nächster Zeit keine eigenen organisatorischen Aktivitäten im Bereich Parkour setzen wird. Sondern es wird abgewartet, wie sich Parkour in der FIG entwickelt, ob es tatsächlich eine olympische Sportart wird – und last but not least, ob es zur Etablierung von Parkour-Wettkämpfen in Österreich kommt.
Sollte dies so sein und es in Österreich dann potenzielle Olympia-Kandidaten geben, würde die Situation der organisatorischen Verankerung neu zu beurteilen sein. Dem ÖPFV ist jedenfalls klar, dass – solange Parkour international zur FIG gehört und dies vom Internationalen Olympischen Comité so bestätigt wird – eine Integration von Parkour in das anerkannte österreichische wie internationale organisierte Sportsystem nur über den Turnsport Austria und nicht selbständig als eigener Verband möglich ist.
Zur Einordnung: Mehrere zentrale Player der österreichischen Parkour-Szene waren früher hochkarätige Kunsturner/innen, leben auch tlw. nach wie vor „in beiden Welten“. Zum Beispiel Florian Ascher (früher im Kunstturn-Nationalkader, jetzt Chef eines steirischen Parkour-Vereins), Roland Auer (Ex-Nationalteamturner, heute Trainer im LZ Linz – und begeisterter Parkour-Athlet), Pamela Forster (ÖPFV-Vorstandsmitglied, bekannteste Parkour-Athletin Österreichs und unter ihrem Mädchennamen Obiniana Kunstturn-Staatsmeisterschafts-Gerätefinalistin) oder Lukas Steiner (Ex-Kunstturner, dann im Red-Bull-Parkour-Team, jetzt Obmann des Turnverein Wattens und zusätzlich Chef eines von ihm gegründeten Parkour-Zentrums).
Diese Liste könnte auf weniger leistungsstarker Turnebene noch lange fortgesetzt werden. Eine Reihe der rund 450 Turnsport Austria-Mitgliedsvereine (kein einziger davon ist aktuell auch einer der 10 Mitgliedsvereine des ÖPFV) bieten schon lange Parkour-Einheiten an oder integrieren Parkour-Bewegungsgut in ihre Kinder-/Jugendeinheiten. Doch es existiert „auf der anderen Seite“ (?) auch eine eigenständige stetig wachsende österreichische Parkourszene, die mit dem Turnen und seinen Vereinen nichts am Hut hat, sich deutlich abgrenzt.
International ist die Situation ähnlich ambivalent. Auf der einen Seite gibt es zusätzlich zur FIG auch andere Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, der Parkour-„Weltverband“ zu sein (z.B. Parkour Earth, World Freerunning Parkour Federation, International Parkour Federation). In einigen nationalen FIG-Mitgliedsverbänden ist Parkour auf der anderen Seite schon lange offizieller Programm-Bestandteil, einige weitere nahmen es parallel zur FIG neu auf. Doch klipp und klar geregelt scheint die Organisationsstruktur aktuell nirgendwo. Klipp und klar festgelegte Regeln sind wohl auch (noch?) nicht Bestandteil der Philosophie der weltweiten Parkour-Community, genau darum scheint es sich im Kern der Sache zu drehen…
13/06/18
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